Alle Zehne
Die Hauptarbeit dabei übernimmt ein Algorithmus, also ein Computerprogramm, das eigens zu diesem Zweck von Ahmed Elgammal von der Rutgers University in New Jersey entwickelt wird. Es handelt sich um eine sogenannte „Artificial intelligence“, zu deutsch: künstliche Intelligenz (KI), ein selbstlernendes Programm, vergleichbar einem Schachcomputer. Der wird umso schlauer, je mehr Schachpartien er kennt. Das Ergebnis ist bekannt: ein Schachcomputer ist von Menschengehirnen nicht mehr zu besiegen. Wird es also bald auch eine Software geben, die besser komponiert als Beethovens selbst?
Gemach, kann man da nur sagen. Die Ergebnisse, die bis jetzt vorliegen, sind (noch) bescheiden. Vor kurzem traf sich das Restaurierungskommando im Beethovenhaus. Hier sprach man mit Experten über Fragen der Skizzenforschung, über Beethovens „kreativen Prozess“ und anderes. Dort präsentierte man auch erste computergenerierte Musikpassagen. Zum Beispiel die Weiterführung einer kleinen thematischen Idee, die Beethoven auf einem Skizzenblatt notierte, das im Besitz des Beethovenhauses ist. Die computergenerierte Weiterführung dieser Idee verlässt sofort den Horizont der Beethovenschen und überhaupt der klassischen Musiksprache und arbeitet sich an schematischen Versetzung von Figuren ohne Rücksicht auf den Takt, an Abspaltungen und gewagten Oktavversetzungen ab. Das Ganze klingt alsbald mehr nach Neobarock oder automatischem Klavier. Das Programm „denkt“ sehr kleinteilig, repetitiv, statistisch, und vor allem: es fasst klassische Musik offenbar (noch) nicht als sprachähnlich auf. Anders ein zweites Beispiel: eine Passage im Sechs-Achtel-Takt. Die Varianten der KI sind deutlich idiomatischer, sinnfälliger, tonal plausibler. Der Algorithmus hat also dazu gelernt. Klar ist damit: der Algorithmus muss weiter gefüttert werden. Aber womit? Nur ein Beispiel. Beethoven hat bereits ein Scherzothema für die Zehnte skizziert. Soll das Programm nun alle Scherzi Beethovens „kennen“ oder nur die späten – schließlich wäre die Zehnte ja ein Spätwerk gewesen. Doch auch hier mahnte Robert Levin, Havard-Professor und als ausgewiesener Beethovenexperte mit im Team, dass die Scherzi der späten Streichquartette von anderem Zuschnitt seien als die der späten Sinfonien. Ganz zu schweigen von Beethovens Lust am Unvorhergesehen. Die lässt sich wohl kaum „vorhersagen“. Oder doch? In ein paar Monaten wissen wir mehr. Mathias Nofze
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