Er liebte Zeit seines Lebens den Nachthimmel, die Sterne, das All. In früher Jugend wollte Charles Koechlin sogar Astronom werden. Daraus wurde jedoch nichts, ebenso wenig aus seiner dann eingeschlagenen Laufbahn als Ingenieur, die er wegen einer lang anhaltenden Tuberkuloseerkrankung nicht fortsetzen konnte. Was folgte, waren Studien bei Jules Massenet, dann bei Gabriel Fauré. Seinen Forscherdrang konnt sich Koechlin allerdings bewahren. Ähnlich den Komponisten seiner Generation wie etwa Maurice Ravel, George Enescu oder Reynaldo Hahn trieb ihn unbändige Entdeckerlust um. „Es gab da ganz ungewöhnliche Einblicke, ähnlich einem sich öffnenden Fenster zu der geheimnisvollen Welt der Töne oder den Entdeckungsreisen in einen unerforschten Urwald vergleichbar“, so hat es Koechlin selbst beschrieben. „Livre de la jungle“ heißt denn auch eine lange Serie von Symphonischen Dichtungen und Orchesterliedern, an denen er über einen Zeitraum von fast vierzig Jahren arbeitete. Die Anziehungskraft des Sternenhimmels lebte in der Sinfonischen Dichtung „Vers la voûte étoilée“ aus dem Jahre 1933 fort. Man betritt darin eine geheimnisvolle Tonwelt mit sphärischen Klängen, wuchernden Linien, subtilen Farbmischungen und raffinierter Harmonik. Die Bamberger Symphoniker unter Leitung von Thomas Rösner spüren diesen Facettenreichtum auf der vorliegenden CD mit erlesener Klangkultur auf. Das Ensemble bringt den mal satten, mal schmerzhaft-blendenden, dann aber auch kammermusikalisch verästelten Orchesterklang ausgezeichnet zur Geltung.
Seine singuläre Orchestrationstechnik hat Koechlin, der eine eigene Orchestrationslehre verfasst hat, auch den Titel „Klangalchemist“ eingebracht. Unter dem Titel „Couleurs“ hält die vorliegende CD ein Plädoyer für diesen ungemein produktiven Komponisten, der mehr als zweihundert Werke in fast allen Gattungen hinterließ und dabei in die Bereiche von Poly- und Atonalität vorstieß, mit dem Klavierzyklus „Heures Persanes“ Messiaensche Klangmystik vorwegnahm und am Lebensende Motetten im archaischen Stil schrieb. Auch das zweite Koechlinwerk – „Sur les flots lointains“ – entwickelt eine langsam sich entfaltende Sogkraft und betört mit koloristischem Zauberwerk.
Der größere Teil der CD ist allerdings Werken von Francis Poulenc gewidmet, der ein Schüler von Koechlin war. Beide Künstler verbinde „die Sinnlichkeit in der Mischung der Bläserfarben, die Opulenz und gleichzeitige Transparenz der Orchesterbehandlung“, schreibt Dirigent Thomas Rösner im Booklet. Poulencs Tonsprache ist elegant, geistreich und – anders als bei Koechlin – ökonomisch, manchmal sentimental, oft unterhaltsam. All diese Ingredienzen machen aus der 1947 geschriebenen Sinfonietta ein kurzweiliges Hörvergnügen, nicht zuletzt wegen der ebenso packenden wie innigen Wiedergabe durch die Bamberger Symphoniker. Komplettiert wird die CD mit dem 1949 entstandenen, fünften und letzten Klavierkonzert von Poulenc. Der brasilianische Pianist Artur Pizarro spielt temperamentvoll und mit blitzender Virtuosität, hat aber auch ein Händchen für zarte und lyrische Partien. Die Aufnahmen entstanden 2017 und 2019 in der Konzerthalle Bamberg. Mathias Nofze
Couleurs. Francis Poulenc: Sinfonietta/Piano Concerto; Charles Koechlin: Vers la Voûte étoilée/Sur les flots lointains. Artur Pizarro (Klavier), Bamberger Symphoniker, Ltg. Thomas Rösner. Odradek OORCD364